UPDATE 06.02.2022
Über die Zukunft des Boofens wird in einer Arbeitsgruppe verhandelt, welcher auch der SBB angehört. Am 02.02. fand eine weitere Beratung zwischen Umweltministerium (SMEKUL) und beteiligten Verbänden statt. Der SBB hat nun in einer Medieninformation transparent über Forderungen und Lösungsvorschläge informiert. Und von einem Konsens ist man weit entfernt. Ich verweise auf die website des SBB LINK
Konkret wird von Seiten des Ministeriums eine Obergrenze von 80 (!) Boofern im Nationalpark gefordert, welche über das Ticketsystem reguliert werden soll. Im Buchungssystem soll man dann noch seine Einverständniserklärung geben, dass man des Kletterns wegen booft – und das schreckt selbstverständlich alle Nichtkletterer ab, dort seinen Haken zu setzen, schon klar.. Auf solche Ideen kann man wirklich nur im Ministerium kommen. Angeblich übernachten 50 % aller Boofer „wild“. Ich kann diese Aussage nicht nachprüfen. Aber wenn dem wirklich so ist, dann erreicht man dieses Klientel schon jetzt nicht und es stellt aktuell ohne Neuregelung schon eine Ordnungswidrigkeit dar, die man ahnden könnte. Die geplanten Reglementierungen treffen hingegen eher die Leute, welche sich bisher schon an die Regeln gehalten haben. Blöd, dass jetzt ausgerechnet beim ARD-Ranger „Paradies Heimat“ wunderbare Werbung fürs Boofen gemacht wurde 😉 Und Partyfackeln nicht vergessen!
Theorie: Man nehme eine schönes Sommerwochenende, verrückterweise in den Schulferien. Ich entschließe mich 1-2 Tage vorher, aus frei dahingestellten Beweggründen, ein Boofticket für Samstagabend zu erwerben. Fehlmeldung: Nationalpark längst ausgebucht. Nicht nur für dieses Wochenende, auch für die nächsten zwei, vier, sechs Wochenenden.. Konsequenz: Auf meinen nicht vorhandenen Balkon am Stadtrand Dresdens schläft es sich auch schön. Nein, Quatsch – ich ziehe trotzdem los. Wobei die offiziellen Boofen selbstverständlich nicht mehr in Frage kämen, da dort ja eventuell kontrolliert wird und es ohne Ticket gleichermaßen eine Ordnungswidrigkeit darstellt wie „wildes“ Boofen. Willkommen in der Anarchie. Langfristig läuft das selbstverständlich auf ein Totalverbot fürs Freiübernachten hinaus, welches so wunderbare Organisationen wie der BUND fordern (dessen hochrangige Mitglieder zufällig auch u.a. im SMEKUL sitzen).
Mein kritischer Blogbeitrag bezog sich hauptsächlich auf eine Mediendarstellung der „Sächsischen Zeitung“, welche dem Leser suggeriert, dass ein weitgehender Konsens besteht, solche restriktiven, teils widersinnigen Regelungen zeitnah durchzusetzen. Das der Zeitungsartikel ohne Kenntnis der wichtigsten Akteure in der AG Boofen von oben herab verfasst wurde, um medial Druck aufzubauen, habe selbst ich nicht vermutet. Als Konsequenz daraus werde ich künftig weniger auf Berichte der Sächsischen Zeitung zurückgreifen. Im Antlitz vorgegaukelten „Qualitätsjournalismus“ ist man mittlerweile unter dem Niveau von BILD angekommen und betreibt reine Agitation. Man verpackt es nur etwas seriöser.
Die Mitglieder vom SBB in der AG vertreten Privilegien ablehnend sehr vernünftige und praktikable Positionen. Bleibt ihnen zu wünschen, Schnellschüsse des Umweltministeriums oder von „Naturschutzverbänden“ abzuwenden. Ich möchte im Ausgangsbeitrag nicht Kletterer oder den Klettersport in ein schlechtes Licht rücken, sondern lediglich diese verbindliche Symbiose des Freiübernachtens im Zusammenhang mit dem Klettersport hinterfragen.
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Das neue Jahr ist angebrochen. Nachdem es zuletzt etwas ruhiger um den Nationalpark wurde, was auch mit positiven agieren der Verwaltung in Verbindung steht, wurde nun medial eine große Regeländerung für 2022 angekündigt. Es betrifft das Thema Freiübernachten. In Abstimmung mit dem Umweltministerium soll es künftig weiter eingeschränkt werden. In einem Beitrag der Sächsischen Zeitung vom 30.12.2021 (link) wird die geplante Neuregelung bereits detailliert vorgestellt. So soll das freiübernachten nun personalisiert werden. Man muss sich vorher mit persönlichen Daten und gewünschter Zeit anmelden und ein (immerhin) kostenfreies Ticket erwerben, welches vor Ort bei Kontrollen vorgezeigt werden muss. Zählungen hätten ergeben, dass von 30.000 jährlichen Boofern nur 10 % Kletterer sind. Lt. Nationalparkverordnung ist das freiübernachten nur in Verbindung mit dem Klettersport gestattet. Künftig soll auch das stärker kontrolliert werden. Bisher scheiterte es an der rechtlichen Handhabung. Denn Klettern ist Definitionssache. Ich kann mir nicht vorstellen, auch in Zukunft hier einen wasserdichten Paragraphen zu erfinden, der im Härtefall vor Gericht standhielt. Denn irgendwelche Ausrüstung ist im Klettern nicht vorgeschrieben, manch alter AW I lässt sich auch ohne Ausrüstung abklettern. Rucksackkontrollen sind sowieso tabu, dazu haben die Ranger keine Befugnis. Eine Mitgliedschaft im SBB kann auch nicht vorgeschrieben werden, denn mittlerweile gehören viele Kletterer keinen Verein mehr an. Die Mitgliedschaft im DAV oder SBB hat andernfalls auch nicht zwingend etwas mit Klettern zu tun.
Sind Kletterer die „besseren“ Menschen?
Wie kommt man überhaupt auf die Idee, dass Kletterer umweltbewusstere Menschen sind, als Wanderer oder Naturfotografen? In meinen Augen wird das Thema künstlich aufgebauscht. Ich bin oft im Nationalpark unterwegs und komme nicht selten an Boofen vorbei. Das alles zugemüllt ist, kann ich nicht bestätigen. Es wird von 30.000 Freiübernachtungen pro Jahr gesprochen. Das klingt schon erst einmal viel. Großes Problem sollen illegale Feuerstellen sein. Im letzten Jahr hatten wir ein oder zwei Zwischenfälle? Wenn man das hochrechnet, passiert bemerkenswert wenig. Die Waldbrände der letzten Jahre entstanden ausschließlich an illegalen Boofen! In den letzten Jahren z.B. Pferdegrund Rathen, unterhalb Kipphorn Schmilka, Höllwandriff Affensteine, Grenzweg oberhalb Schwarze Schlüchte. Unterhalb der Schrammsteinaussicht brannte es in 2020 mutmaßlich aufgrund einer weggeworfenen Zigarette. Heimatfreunde, welche noch die Prä-Nationalpark-Ära miterlebt haben, wissen von weitaus größeren Menschenmassen zu berichten, welche aus einem Freiheitsdrang heraus an den Wochenenden in den seinerzeit legendären, gut ausgebauten Boofen scharenweise bevölkerten. Auch damals schon waren es nicht nur Kletterer. Statt Boombox hatten viele eine Gitarre oder Ukulele im Gepäck. Es wurde fast immer Feuer gemacht. Damals war es auch eine Art Flucht. Ausbruch aus einem starren einschränkenden System.
Im Gegenzug könnte man aus der Sicht eines Wanderers fragen: Wie naturverträglich ist es, dass jährlich Tausende Kletterer alle möglichen Wege an den Felsen (geschützte Biotope) begehen? Die Spuren an den Felsen sind unübersehbar. Und die Wanderfalken sind sicherlich auch nicht glücklich über reihenweise herumturnente Seilschaften in ihren Revier. Trotzdem: Alles hat seine Berechtigung. Und mich nervt es extrem, immer wieder bestimmte Bevölkerungsgruppen, Tier und Mensch gegeneinander auszuspielen oder irgendwelche Privilegien zu erfinden. Gerade, wenn es um die freie Natur geht.
Bürokratisierung als Problemlösung?
Ein Ticketsystem für freiübernachtende Kletterer kann meiner Meinung nach keine gute Lösung sein. Es setzt sogar Anreize, sich möglichst weit hinten im Großen Zschand zu verziehen, um ungestört vor Rangern eine ruhige Nacht unter freien Himmel in der Felsenheimat zu erleben. Zumindest, wenn man vornherein schon 90% der „Interessenten“ von der legalen Möglichkeit des Freiübernachtens ausschließen würde. Wer mit offenen Augen durch die Landschaft geht (und damit meine ich nicht nur den Nationalpark), entdeckt an Straßenrändern, in Flüssen und Feldern deutlich mehr Müllansammlungen. Das landet dann im Wasser oder geschreddert im Salat. Zu DDR-Zeiten war es völlig normal, an irgendwelchen Hängen Müllkippen anzulegen. Da sind wir heutzutage schon einen guten Schritt weiter. In der Sächsischen Schweiz sind es nicht selten auch naturentfremdete Tagestouristen, die vorzugsweise in Felsspalten am Wegesrand ihre Notdurft verrichten, Verpackungsreste hinterlassen oder Glimmstängel wegschnipsen. Gerade an touristisch stark frequentierten Wegen..
Laut Informationen vom Sächsischen Bergsteigerbund (link) ist die Diskussion und Entscheidung über eine Neuregelung noch längst nicht abgeschlossen und man befindet sich in permanenten Diskurs mit beteiligten Verbänden, Gemeinden und Behörden. Sicher ist: Eine Ticketlösung ist allemal besser als ein Komplettverbot, welches in einem Nationalpark sicher ohne größere Probleme per Verordnung durchsetzbar wäre..
Freiübernachten früher
Ganz nebenbei: Das Freiübernachten unter Felsüberhängen in der Sächsischen Schweiz geht weit über die Tradition des Freikletterns hinaus. Früher haben Waldarbeiter bereits Felsüberhänge zum übernachten genutzt. Manche haben sogar zum Schutz vor kriegerischen Auseinandersetzungen gedient. Nicht wenige Überhänge tragen alte Inschriften aus dem 17./18. Jahrhundert. Und einige Kletterzugänge sind historische Wirtschaftswege, Pascherpfade oder vom Gebirgsverein bereits vor dem Klettersport angelegte Wanderwege, die in Vergessenheit geraten sind, und nur noch durch den schwarzen Pfeil am Leben gelassen werden. Als nächstes kommt dann ein Ticketsystem für Kletterfelsen? Oder eines zum Begehen von Kletterzugängen? Eine Gebietsverwaltung, welche eine große Fläche Wald verwaltet, aber keine Forstarbeiter beschäftigt, brauch natürlich auch ihre Berechtigung. Die Nationalparkwacht – welche Kontrollfunktionen erfüllt – soll übrigens personell aufgestockt werden. Damit verdrängt man eher die naturbewussten Leute.. denn wer zieht sich schon in die Natur zurück, um früh Morgens dann einem grünen Männl oder Weibl Rechenschaft über sein Dasein abzulegen und sich erklären zu müssen, wieso man warmen Kaffee im Becher hat?
Lesenswert zur Boofen-Thematik ist ein Beitrag der Stasi-Unterlagenbehörde zum Thema Boofen in der DDR (link)
Über 30 Jahre später sieht man die Freiheit doch mit etwas anderen Augen.
Klettern und Boofen
Wieso sollte das freiübernachten ausgerechnet Menschen vorbehalten sein, welche die Natur in erster Linie als Ausübungsort sportlicher Zwecke betrachten? Nein, ich weiß. Die meisten Kletterer sehen ihre Passion zweifelsfrei auch als Abenteuer, aber dieses Wort darf mittlerweile ja gar nicht mehr in diesem Zusammenhang in den Mund genommen werden, seitdem „Abenteuertouristen“ zum beliebten Schimpfwort geworden ist.
Von Anfang an waren Bestrebungen da, das Freiübernachten in den zugelassenen Boofen nur Kletterern zu überlassen, entsprechend der Bergsportkonzeption, welche in der Nationalparkverordnung verankert ist:
„Gemäß § 6 Abs.1 Nr. 13 Nationalpark-Verordnung ist es im Nationalpark untersagt, außerhalb von Gebäuden zu nächtigen. Ausgenommen davon ist das Freiübernachten in Felsgebieten außerhalb der Schutzzone I (Kernzone), soweit dies in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausübung des Klettersportes erfolgt und der Schutzzweck des Nationalparks dadurch nicht beeinträchtigt wird (§ 7 Abs. 1 Nr. 9 Nationalpark-Verordnung). Diese Ausnahme erkennt die Tradition insbesondere der sächsischen Bergsteiger an, in bestimmten Bereichen des Nationalparks frei zu übernachten (zu boofen).“
Auch jeden Nicht-Juristen fällt sofort die schwammige Formulierung ins Auge, welche rechtlich nie durchsetzbar war.
Wer draußen pennen will muss klettern?
Was ist denn laut Definition notwendig, um den Zusammenhang mit der Ausübung des Klettersportes bei Kontrollen zu beweisen? Es gibt schlichtweg keine Materialvorschriften, um Klettersport auszuüben. Seil ist nicht zwingend notwendig, denn es gibt auch leichte Klettergipfel (I), welche abgeklettert werden können, sofern entsprechende Fähigkeiten vorhanden sind. Kletterschuhe benötigt man auch nicht zwingend, denn es geht auch Barfuß. Versteht mich bitte nicht falsch – freilich hat man Ausrüstung dabei, wenn man den Klettersport ernsthaft betreibt. Es geht ums Prinzip.
Per Definition und rein rechtlich kann man es an der Ausrüstung nicht festmachen. Punkt. Das musste übrigens auch tschechische Nationalparkverwaltung einsehen, wo gern mal Nicht-Kletterer vom Begehen der Kletterzugänge abgehalten werden. Es existiert ein offizielles Statement von der NPCS, dass ALLE Menschen diese Kletterzugänge begehen dürfen (unter Beachtung der geltenden Horstschutzzeiten selbstverständlich). Ich weiß, die Ranger gehen beiderseits der Grenze gern auf Dummfang und behaupten das Gegenteil, ohne rechtliche Grundlage.
Was bleiben noch für Möglichkeiten? Eins ist klar, mit einer Neuregelung und „Boof-Tickets“ möchte man das Freiübernachten Bürokratisieren. Klar, derzeit hat die Vorlage spezifischer Ausweise ja Hochkonjunktur und so könnte man ganz einfach vorschreiben, dass Nutzer der Boofen künftig Mitglied beim SBB sein müssen. Was wiederum alle „Ausländer“ ausschließen würde. Aber streng genommen will man das ja. Heißt es in der bisherigen Bergsportkonzeption: „Diese Ausnahme erkennt die Tradition insbesondere der sächsischen Bergsteiger an, in bestimmten Bereichen des Nationalparks frei zu übernachten (zu boofen).“
Nun war es bisher aber gar nicht vorgeschrieben, Mitglied in irgendeinen Verein zu sein, um seinen Klettersport an den Felsen auszuüben. Entsprechend sind viele Leute in Sachsen und außerhalb (v.a. jüngere) auch gar nicht Mitglied in einer Organisation. Das würde eine Nachweiskontrolle auch wieder erschweren. Wenn das alles wirklich so verkompliziert werden soll, muss selbstverständlich auch an jeder Boofe eine entsprechende neue Beschilderung angebracht werden, woraus klar erkenntlich wird, welche Menschen erwünscht sind und welche nicht (vergleichbar mit den Biwakplätzen am Forststeig).
Alleine schon bei dem Gedanken, dass an jeder Boofe ein riesiges Schild mit den Nutzungsbedingungen hängt, gruselt es mich. Wenn man den Gedanken zuende denkt (derzeit ziemlich out, ich weiß), führt doch gerade das Ticketsystem die Tradition des Boofens ad absurdum. Da Kletterer sich eher wetterabhängig und kurzfristig auf ein Ziel festlegen, käme die diskutierte „Lösung“ nicht einmal diesem Klientel zugute.
Ich möchte nicht bestreiten, dass es vor allem im Sommer zu Problemen mit einigen Freiübernachtungsgästen kommt. Großgruppen, Lärm, Müll, Alkohol, Boofen mit Eventcharakter. Lagerfeuer auf Felsriffen. Da kommt es zweifelsohne zu Störungen. Es sind schon einige Leute unterwegs, die sich daneben verhalten. Andererseits gibt es die überall. Beim Einkaufen, im Straßenverkehr, am Bahnhof, im Fußballstadion, in der Bar, im Internet – in allen Bereichen unseres Lebens. Verhält sich in der Natur wirklich die Mehrheit nicht naturkonform, sodass man es drastisch einschränken muss? Das Boofen und der Nationalpark sind auch aufgrund Internet, Openstreetmap & Co. bekannter geworden. Outdoorausrüstung einfach zu erwerben und leicht zu transportieren. Outdoor war früher Nische – jetzt boomt es. Die Zeit lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Genausowenig wie sich der verwahrloste Waldzustand zurückdrehen lässt. Wobei letzteres sowohl Besucher als auch NPV vor weitaus größere Probleme stellt, als ein paar „Abenteuerboofer“.
Ich war schon immer Freikletterer ohne Ausrüstung. Weiterhin bin ich aktives Mitglied im Siedlerverein Fuchsbreite e.V. Magdeburg. Wenn das nichts ist.
Als männlicher (bei Laune auch weiblicher) schwachpigmentierter alter Weißer habe ich trotzdem nicht viel zu melden. Unsere sehr in die Jahre gekommene Wander- und Boofentruppe wundert sich schon lange über nichts mehr.
Wir wurschteln einfach weiter.
P.S. Nicht vergessen neben Corona die Seuche Dummheit bekämpfen.