Eiszapfenstreich im Wolfsbachtal und ein geheimnisvoller Mann

Drei Wochen lang lagen die Temperaturen tagsüber mehr oder weniger um den Gefrierpunkt herum. Anfang Februar sah ich zufällig am Wurzelweg ein paar schöne Eisgebilde. An diesen Tagen hatte ich damit schon nicht mehr gerechnet, weil es kurz zuvor bis in höhere Lagen regnete und starkes Tauwetter begann. Nun setzte in der Folgewoche noch einmal unverhofft ein frostiger Witterungsabschnitt ein. So musste ich unweigerlich an die berühmten Zeidler Eisfälle denken, wo Böhmischer Wind und ein etwas raueres Klima herrschen würden. Im Netz fand ich allerdings keine Zapfenbilder oder ähnliche Hinweise aus 2023, was etwas Skepsis hervorrief. Aber immerhin die Webcam in Krasny Buk (Schönbüchel) zeigte eine geschlossene Schneedecke und in Horni Podluzi war am Skilift reges Treiben zu erkennen, was erstmal eine gute Voraussetzung sein sollte…

Start im Nieselregen unterm Wolfsberg

kleines Preußenlager

So starteten wir vergangenen Samstag (11.02.) in Vlci hora, dem gleichnamigen Dorfe am Fuße des Wolfsberges. In der Ortsmitte wurde erst vor wenigen Jahren eine Parkfläche hergerichtet. Es ist generell ein guter Ausgangspunkt für Touren in die Böhmische Schweiz. Oder bei entsprechender Witterung eben zu den Eisfällen ins Wolfsbachtal. Wobei die meisten Touristen wild an der Straße am Eingang des Tales parken, was ein bisschen Wegstrecke spart. Eigentlich fährt hier auch der Zug vorbei, aber seit Corona wurde die U27 für die Wintermonate eingestellt. Schade drum.

Nun ging es los, 10 Uhr bei leichten Nieselregen. Für die ersten Meter nutzen wir den ausmarkierten Köglerlehrpfad. Die Aussichten waren zwar trüb, von Fernsicht keine Rede. Gleich nach ein paar Metern hing der Zettel über die Sperrung des Khaatals. Vom 06.02. bis 30.04. ist es komplett zwischen Kyjov (Khaa) und Hinterdaubitz aufgrund Holzeinschlags gesperrt. Das Tal wird vermutlich komplett freigestellt, die Käferfichten entfernt. Denn es dient als wichtiger Feuerwehrzugang- und Rettungsweg. Das wussten wir vorher. Zeidlerbachtal und Wolfsbachtal waren ausdrücklich auf der Seite der tschechischen Nationalparkverwaltung als erlaubt bezeichnet. Nur der typische Rundweg und ein Besuch der wundervollen Feengrotte waren damit tabu.

Der Anblick schneebedeckter Felder ließ uns dennoch hoffnungsvoll einen altbekannten Abstieg ins Wolfsbachtal wählen – vorbei am kleinen Preußenlager, welches bereits geschmückt war mit herrlichen Zapfen. Nun war klar: Heute haben wir alles richtiggemacht! 🙂 Der Borkenkäfer trieb natürlich auch in der Böhmischen Schweiz sein Unwesen und so blieb es nicht aus, dass wir uns über den ein oder anderen querliegenden Baum kämpfen mussten. Das war zu erwarten, hielt sich aber in Grenzen.

Kunterbunte Eisfälle und die Hainspacher Rentamtskasse

Velky ledovy sloup

Im Wolfsbachtal trafen wir auf die ersten Touristen. Seit meinem letzten Besuch im Jahr 2019 hat sich viel verändert. Der Anblick des Tales war recht gewöhnungsbedürftig. Nicht nur die einzelnen Schilder aller Eisfälle sind verschwunden. Auch hier wurde der Weg vom Forst freigeholzt. Es sind an den Seitenhängen riesige Freiflächen entstanden. Aber das soll nicht Thema dieses Beitrags werden. Anfangs war der breite Forstweg noch sehr vereist. Mit jedem Höhenmeter talabwärts schwindet der Schnee. Ausgiebig bestaunen wir die verschiedenen Farbnuancen der prächtigen Eisfälle – von kristallklaren weiß, über pinkelgelb zu rostbraunen Farbtönen ist alles dabei. Die „große Säule“ im Rabengrund war von oben bis unten schön durchgefroren und der Anblick erinnert durchaus an die Gautschgrotte bei Hohnstein.

Denkstein im Wachtelgrund AK

Einen weiteren magischen Ort suchten wir in einem Seitental auf, dem sogenannten Wachtelgrund (Krepelci dul). Dort versteckten sich im Jahr 1778 Gefolgsleute des Grafens Salm Reifferscheidt von Hainspach (Lipova) mit der Rentamtskasse vor den einfallenden Preußen. Ein Stein mit der Inschrift: „Zu diser Zeit war groses Leid“ lässt die Vergangenheit dieses Platzes sehr lebendig erscheinen. Der Ort wurde später vom Gebirgsverein zugänglich gemacht. Am Felsüberhang befinden sich noch weitere unleserliche Tafeln, bzw. herausgeschlägelte Nischen, welche wohl mal ein Schild zur Aufnahme dienten. Gleich gegenüber befindet sich ein einfaches Holzkreuz mit der Aufschrift „Bob Škopík 1969-1987“. Es erinnert an einen Trampkameraden, der viel zu früh starb und sich gern in den 80ern in dem Gebiet aufhielt.

Zeidler Raubschloss und die Akte „Großer Mann“

Drei Glühwein später, und nachdem wir die ganzen Eisfälle der Reihe nach „abgearbeitet“ haben, schlugen wir den Weg in Richtung des Zeidler Raubschlosses ein. Schilder machen darauf aufmerksam, dass die grüne Wegemarkierung vorübergehend entfernt wurde. Betreten auf eigene Gefahr! Am Ende war es nicht so schlimm. Die Zugänge waren sowohl vom Wolfsbachtal aus als auch aus Richtung Sandtor frisch aufgesägt. Im Bereich des Zeidler Raubschlosses selbst befinden sich vornehmlich Kiefern (Riffvegetation), sodass es dort keine Probleme gibt und ein unverändert sehenswerter Ort ist.

Mann historisch (Kittler Klefü)

Bevor wir den Rückweg antraten, wollte ich noch eine Merkwürdigkeit in unmittelbarer Nähe zum Raubschloss aufgeklärt wissen: Der Felsen „Mann“. Auf der Website von Cornelius Zippe (welche übrigens eine tolle Fundgrube für historische Beschreibungen der Böhmischen Schweiz ist) findet sich ein Bild von diesen Felsen mit dem Hinweis: „Erwähnt sei auch hier noch des unweit davon befindlichen hochromantischen Felsens „der Mann“, dessen durchschnittliche Höhe an 17 m beträgt; mit Befriedigung sei zugleich mitgetheilt, daß sich Herr Zimmermeister Adam bereits erbötig gemacht hat, zur Besteigung dieses Felsens eine ca. 20 m lange Stiege von eigenthümlicher Konstruktion und mit Geländer versehen, ganz uneigennützig beizustellen, so daß dem Vereine hauptsächlich nur die Wegverbesserung zu diesem interessanten Punkte obliegen wird.“ (Aus Nordböhm. Touristen-Zeitung 2/1886)

In der vierten Ausgabe selbiger Zeitung 1889 (Quelle) wird der Felsen nochmals erwähnt:

„Man genießt von hier, sowie von der vorher zu passirenden Kronplatte schönen Ausblick in die zu unseren Füßen liegenden Gründe und die weit ausgebreitete, schöne Waldlandschaft, auch sieht man die Spitze des Irichtberges und den oberen Theil des Liliensteines.“

Mann heute

Der heute relativ versteck liegende Felsen ist als Kletterziel registriert – erste bekannte sportliche Begehung über den Alten Weg VI (!) im Jahr 1972. Spuren vergangener Zeiten sucht man heute vergeblich. Lediglich eine fette Stahlöse bergseitig knapp unterm Gipfel könnte von der touristischen Erschließerzeit stammen.

Alleine dieser kleine Felsen führt einem die bewegte Geschichte der vergangenen 150 Jahre vor Augen: Von der touristischen Erschließerzeit der ortsansässigen Gebirgsvereine über die „Zeit des Vergessens“ bis hin zur sportlichen Wiederentdeckung. In welchen Zeitabschnitt befinden wir uns gerade? Die grüne Wegemarkierung zum Raubschloss wurde entfernt. Kletterzugänge zum „Velky Muz“ sind nicht erkennbar. 87% aller Kletterfelsen im Nationalpark sind vom 01.02. bis min. 30.06. gesperrt. Mit Ach- und Krach werden ein paar Hauptwanderwege freigehalten und der Rest bleibt sich selbst überlassen.

Wenn man alte Zeitungsausschnitte liest, mit welchen Tatendrang die Gebirgsvereine Ende des 19. Jh. die Böhmische Schweiz erschlossen haben. Ehrenamtlich, spendenfinanziert, mit eigenen Mitteln, oder in Absprache mit der Gräflichen Forstverwaltung. Dann überkommt einen ein Stück weit schon die Ehrfurch. Allein der Gebirgsverein Khaa hatte zeitweise 100 Mitglieder, bei einer Einwohnerzahl von 700 (und Wochenarbeitszeiten von 60-70 Stunden). Und heute muss man ansehen, wie das alles den Bach heruntergeht und man abhängig ist, von einer Schutzgebietsverwaltung, die jedes aufflammende Engagement im Keim erstickt, wenn es nicht den „grünen“ Richtlinien entspricht. Deren Mitarbeiter ihre Runden im Allrad-SUV drehen, um Falschwanderer eifrig belehren zu dürfen. Oder im Büro alles aus den Karten löschen, was nicht 1,50 Meter neben dem dreifach markierten Hauptwanderweg liegt. Mittlerweile ist das Engagement der tschechischen Bevölkerung wieder groß, Kleindenkmäler zu sanieren. Und auch touristisch will man wenigstens Schritt halten mit anderen Destinationen. Die großen Tafelberge und markante Felsformationen fehlen hier. Das Pfund mit dem man wuchert, ist der schöne Wald und die Waldeinsamkeit, von den winterlichen Eisfällen mal abgesehen. Das bricht gerade zusammen wie ein Kartenhaus. Hauptbaumart war Fichte, Laubbäume sind deutlich seltener als auf deutscher Seite. Der bodendeckende Jungwuchs ähnelt einen Teppich aus Fichten,  der irgendwann erneut von Käfer oder Feuer verzehrt wird. Und so gehört vieles der Vergangenheit an. Die Steiganlage auf den Mann. Schloss Sternberg. Sanftes Waldbild. Tramps. Und die Böhmische Schweiz so, wie ich sie kennen und lieben gelernt habe. Wer schützt was, warum, mit welchen Ergebnissen? Aber vielleicht kommt irgendwann die Zeit mal wieder wo man sagt: „Es wäre nur zu

grüne WM aufgehoben

wünschen, dass dieses idyllische Plätzchen nicht nur erhalten bliebe, sondern dass auch vom gegenwärtigen Herrschaftsbesitzer „etwas“ zur Hebung von Sternberg, namentlich durch angemessene Baulichkeiten, geschehen möchte. […] Ohne Übertreibung sei es gesagt: Ein sehr anmuthiges und liebliches Plätzchen ist und bleibt Sternberg, ringsum vom frischen Walde umgeben, fern von jeder lärmenden Culturäußerung, fern von jedem Weltgetriebe.“

Nach Besuch des Zeidler Raubschlosses schlugen wir den Rückweg über das große Preußenlager zur großen Kreuzung „Sandtor“ ein. Alternativ hätten wir auch zurück ins Wolfsbachtal, und am Herrenflößchen unmarkierten Pfades aufwärts nach Wolfsberg wandern können. Das wurde aber demokratisch aufgrund unbekannter „Baumsturzsituation“ abgewählt. Bei fortschreitender Tageszeit und stärker werdenden Nieselregens haben wir uns für den bekannten, gangbaren Weg über Sternberg entschieden. Am Sandtor lohnte nochmal ein Abstecher in Wehners Grund, in welchem sich der eiserne Vorhang „Opona“ befindet. Mit fortschreitender Tageszeit und stärker werdenden Nieselregens liefen wir vorbei am ehm. Jagdschloss Sternberg, über den Höhenrücken nach Wolfsberg zum Parkplatz. Am Ende standen aufgrund diverser Abstecher und expeditionistischer Anwandlungen 17 Kilometer auf der Uhr. Mapy gibt für den groben Track eine 11 aus. Virtuell geglättet. Ihr dürft es gern nachwandern. Beschwerden über fehlende eiszeitliche Relikte am Wegesrand sind zu richten an Petrus, Himmelspforte 7.

Runde auf mapy.cz https://de.mapy.cz/s/lekunuzeka

Quellen der Scans:
„Mann“: Kletterführer Böhmische Schweiz, Band III von Albrecht Kittler, 2000

„Denkstein im Wachtelgrund“: Album alter Ansichtskarten der Böhmisch-Sächsischen Schweiz, Albrecht Kittler, Karel Stein, Petr Zámis, Cornelius Zippe, 2003

Abgesang: Es war eine schöne Runde mit den bezaubernden Eisfällen als Highlight. Kleines Preußenlager, Wachtelgrund, „Mann“ und Zeidler Raubschloss als ergänzende Punkte haben keine Langeweile aufkommen lassen. „Zadni Zeme“ – das hintere Land ist allen Unkenrufen zum Trotz voller Perlen. Es ist nur in den vergangenen Jahren nicht einfacher geworden, sie zu finden. Dianengrund, Schützensteine, Burg, Rosengarten, Wolfsburg, Limberg, Poststein, die Weinsteine, Drachenstiege, Hühnerstein, Stülpners Einöde, Kuckuckstein, Käs und Brot, Tännicht. Man könnte Bücher füllen… und das Vergessen ringt geradezu mit dem Enthüllen. Es ist immer eine schmale Gratwanderung zwischen Geheimes preisgeben, und drohender „Wildnis“.

Ein Kommentar

  1. Also gab es doch paar Eiszapfen, hätte man erst gar nicht gedacht bei dem Winterwetter, danke deshalb fürs Zeigen. Die Gegend sieht ganz schön mitgenommen aus. Durchs Wolfsbachtal führt eigentlich auch eine Radroute, aber die Fotos zeigen nicht gerade einen günstigen Zustand der Wege.
    Vor über 100 Jahren war im Gebiet der Gebirgsverein Schönlinde (Gebirgsverein für das nördlichste Böhmen) mit über 1600 Mitgliedern (!) tätig. Die Schönlinder Brücke wurde z.B. gebaut, ein umfangreiches Wegenetz entstand und wurde gepflegt, Treppen, Stiegen und Aussichten wurden errichtet und mehrere Aussichtstürme gebaut. Und heute? Heute ist man schon froh, wenn auf einem Wanderweg weniger als 10 umgestürzte Bäume liegen und paar Wege nicht ganz gesperrt oder verboten sind. Kein Wunder, daß mittlerweile auch in der Böhmischen Schweiz einige den Nationalpark nicht mehr wollen.

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