Um den Hopfenberg herum

Zwischen Decin und dem Hohen Schneeberg erheben sich mehrere basaltische Bergkuppen, die bisher weniger im Fokus von mir und meinen Wanderfreunden standen. Also war es an der Zeit, eine kleine Runde zu stricken und auch die vielen Kleinode und Lost places am Wegesrand „einzusammeln“, welche uns vorher auf der Karte ins Auge gesprungen sind. Und die Gegend ist nicht nur landschaftlich gesehen wahrlich gespickt mit sehenswerten Punkten. Wir tangieren während der ca. 15 km langen Runde mehrere Dörfer auf der Bodenbacher Seite, die heutzutage allesamt nach Decin (Tetschen) eingemeindet sind, am Rande des Böhmischen Mittelgebirges.

Johanniskapelle und Märchenwald

Johanniskapelle in Kröglitz (Foto T. Reißig)

Los geht’s im Örtchen Kröglitz (Chrast) mit einer kleinen Besichtigung der imposanten Johanneskapelle, welche 1872 im neugotischen Stil vom Graf von Thun-Hohenstein erbaut wurde und als Familiengruft diente. Wir folgen dann ein Stück dem blau markierten Wanderweg bis zum Fuße des Pfaffenberges hinauf, wo wir einen ersten schönen Ausblick auf Decin haben. Nördlich des Pfaffenberges (Popovicky vrch) erreichen wir einen kleinen Park neueren Schnitzereien, welche wohl tschechische Märchenfiguren darstellen sollen – der sogenannte „Deciner Märchenwald.“ Solchen Holzschnitzereien mit viel Liebe zum Detail werden wir immer wieder begegnen.

Wir gehen den Feldweg weiter, am Hundesportplatz vorbei, und erreichen bald ein idyllisches Seitental, wo sich der Jeleni potok (Hirschbach) von der Hochfläche über kleinere Kaskaden Richtung Tal stürzt und sich in die Sandsteinplatte am rechten Rand des Eulauer Bachs einschneidet. An den Felsen sind mehrere Marienbilder angebracht. Unklar bleibt uns die Bedeutung eines Denkmals, was wie eine Grabstätte aussieht. Die Inschrift am Stein ist leider nicht mehr lesbar.

Hirschbachtal und ein Gratweg im Sandstein

„Karlsruh 1882“ (Foto T. Reißig)

Nun geht es über einen steilen Pfad hinauf auf ein schräg liegendes Sandsteinplateu, welches immer wieder interessante Aussichten auf die benachbarten Erhebungen freigibt. Ein alter Ruheplatz mit der Inschrift „Karlsruh 1882“ zeugt von einer einstigen touristischen Erschließung des Pfades, den man durchaus auch als Gratweg bezeichnen kann. Immerhin 1,5 km geht es an der Felskante entlang. Außer ein paar Rehe begegnet uns hier niemand. Am Ende des Weges geht es über Holztreppen hinab zu einer Wegkreuzung, wo wir eine schöne Schutzhütte erst einmal zur windgeschützten Mittagsrast nutzen.

Auf dem blau markierten Wanderweg, der witterungsbedingt zu einer ziemlichen Rutschpartie wurde erreichen wir eine nett eingefasste Quelle, den Thielborn (Thieluv pramen) nebst Wassermann. Hier an den Hängen des Hutbergs wurde übrigens ein Mountainbike-Trail mit drei verschiedenen Wegen eingerichtet, um diesen Outdoor-Sport Raum zu geben, der mittlerweile auch seine Berechtigung hat.

Jägerbauers Station

Jägerbauers Station

Mitten im Wald weist die blaue Wegemarkierung einen Abstecher aus. Er führt zu einer Kapelle. Auffällig am Weg sind linkerhand die sehr hohen, fein säuberlich aufgetürmten Lesesteinhaufen. Die Kapelle ist äußerst sehenswert und ein Unikum. Sie steht auf einen großen Steinhaufen, der mit zwei Treppen versehen ist. Vor wenigen Jahren lag die Kapelle noch völlig wüst hinuntergeworfen daher. 2019 wurde sie von einer Freiwilligenbrigade um den Bekannten Heimatforscher Karel Stein aufwendig restauriert und erstrahlt in neuen Glanz. Früher wurde der Ort „Jägerbauers Station“ genannt. Zur Errichtung dieser alten Andachtsstätte gibt es verschiedene Literaturquellen. Einerseits wird sie in Verbindung mit den Napoleonischen Gefechten im Jahr 1813 in Verbindung gebracht, wo vermutlich auch das nahegelegene Eulau viel Leid erfahren musste. Eine andere Quelle berichtet, dass Sie am Standort eines ehemaligen Pestfriedhofes errichtet wurde. Zumindest gehörte dem Jägerbauer das Flurstück und der Erbauer hat damals zweifelsohne sehr viel investiert. Kriege und Infektionskrankheiten haben damals immer wieder die Bevölkerung stark dezimiert, und so gab es in jeden Fall genügend Anlässe zum Bau einer solchen Andachtsstätte.

Aufgrund der Eisglätte auf den Wegen und der Witterung verzichten wir während dieser Tour auf die Besteigung von Lotterberg und Hutberg, wobei letzterer vom Gipfelfelsen schöne Aussicht bieten soll. Wird sicher nachgeholt!

2 Monate Knast für ein Menschenleben?

Gedenkstein für Eduard Focke 1884 (Foto T. Reißig)

Wir gehen nun am Rande des Lotterbergs einen Waldweg entlang, wo wir ein paar Meter jenseits des Weges auf eine alte Säule treffen mit der Inschrift: „Zur Erinnerung am 12. Mai 1884“.

In der Zeitung „Aussiger Anzeiger“ vom 16.05.1885 heißt es dazu:

Leitmeritz, 12. Mai. (Die Folgen eines Jagdunglücks)
Am 12. Mai 1884 wurde im Eulauer Forste der Wirtschaftsbesitzer Eduard Focke am Anstande angeschossen, und es lenkte sich der Verdacht der Thäterschaft auf die beiden Brüder Anton und Wenzel Winkler, welche, zu derselben Zeit, es war um 8 Uhr abends und in nächster Nähe des Ortes, wo das Jagdunglück geschah, im Schönborner Reviere auf dem Anstande waren. Besonders lauteten die von der gerichtlichen Kommission gesammelten Indizien höchst belastend für Herrn Anton Winkler, Kaufmann in Bodenbach, der sich nach dem Geschehnis verstört zeigte und sich vernehmen ließ, er gäbe viel, wenn die That nicht geschehen wäre. Schon nach 4 Tagen starb Eduard Focke in Folge der erhaltenen Verwundung. Die Angelegenheit zog sich ein Jahr lang hin, denn die gerichtlichen Vorerhebungen wurden schon einmal eingestellt, später aber wieder aufgenommen und solange fortgesetzt, bis am 9. d. M. die Verhandlung gegen Anton Winkler wegen des Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens vor einem Vierrichter-Kollegium, bei dem hiesigen Kreisgerichte stattfand. Die Verhandlung dauerte einen und einen halben Tag. Die juristische Vertretung des Angeklagten, welcher verheiratet und Vater eines Kindes ist, führte Dr. Weil aus Aussig, der Gerichtshof bestand aus den Land desgerichtsräten: Wildner (Vorsitzenden) Eifler und Hajek und K. G. Adj. Weinert. Die beschädigte Partei, die Familie Focke, vertrat Dr. Jakob Schiller. Der Angeklagte leugnete die That und behauptet, den Eduard Focke nicht angeschossen zu haben. Nicht weniger als 19 Zeugen, darunter 2 Gerichtsärzte als Sachverständige und 2 Forstleute, da es sich um einen Schuß handelte, waren vorgeladen. Entlastend für den Beschuldigten haben ausgesagt: Bürgermeister Wenzel Pantsch und Jagdpächter Ignaz Dörre, beide aus Schönborn, ferner Ober förster Höhne und Forstadjunkt Gebauer, beide aus Binsdorf und der als Zeuge vorgeladene Bruder des Beschuldigten Wenzel Winkler; die anderen Zeugen deponirten zumeist belastend gegen den Angeklagten und der Haupbelastungszeuge war der Gendarmeriepostenführer Vieldorf aus Eulau, der eidlich bekräftigte, daß der Angeklagte ihm gegenüber eingestanden habe, in der kritischen Zeit, in der der Anklage nach der verhängnisvolle Schuß fiel, im Schönborner Revier geschossen zu haben. Auf diese Aussage und noch andere Verdachtsgründe hin wurde Anton Winkler, trotzdem Dr. Weil in glänzender Weise für die Freisprechung plaidirte, schuldig erkannt und zu 2 Monaten Arrest verurtheilt. Weiters wurde der Angeklagte zum Ersatze folgender Beträge an die Witwe Focke verhalten: 32 fl. für ärztliche Behandlung, 100 fl. Kosten für das Leichenbegängnis, 47 fl. an Vertretungskosten, und für die Witwe selbst an Schadenersatz 200 fl. und für jedes der vier hinterlassenen Kinder je 350 fl., also in Summa 1579 fl. Mit den weiteren Ansprüchen für die Witwe 300 fl. und jedes Kind 150 fl. wurde Frau Focke auf den Zivilrechtsweg gewiesen. Der Vertheidiger Herr Dr. Weil meldete gegen das Urtheil sofort die Nichtigkeitsbeschwerde an, so daß die endgiltige Entscheidung der Kassazionshof in Wien zu treffen haben wird.

Lediglich Zwei Monate Arrest für fahrlässige Tötung erscheinen ein mildes Urteil… Wie dem auch sei, wir wandern weiter dem Hopfenberg (Chmelnik) entgegen, erstmal abwärts in den Sattel, vorbei an einer eigentümlichen Waldhütte mit allerlei Klimbim, bis sich vor uns der letzte Berg des Tages auftürmt. Auf der einen Seite grüßt der hohe Schneeberg, und von der anderen der Zinkenstein mit dem markanten Fernsehturm. Obwohl bisher keiner von uns Vieren auf dem Hopfenberg oben war, haben wir uns entschieden auch diese Besteigung auf einen anderen Zeitpunkt zu verlegen, denn die Wege sahen sehr rutschig aus und die Entscheidung sollte sich als goldrichtig herausstellen, zumal die Fernsicht an diesen Tag sowieso eher finster und kontrastarm war.

Fernblick Böhmisches Mittelgebirge (Foto T. Reißig)

Wir liefen den gelb markierten Wanderweg auf der nördlichen Seite des Berges herum und der Weg war völlig vereist. Hier wären Trekkingstöcke und sogar Grödel sinnvoll gewesen. Sicher auch einer der Gründe, weshalb uns an diesen Sonntag nur ganz wenige Leute über den Weg liefen. Der Wanderweg wird an einigen Stellen mit immer ausgefeilteren Holzfiguren und Ruhebänken verziert. Hut ab!

Der Hopfenberg war früher ein sehr beliebtes Ausflugsziel für das gesamte Deciner Umland inklusive Gaststätte und Aussichtsturm. In die Geschichte ging auch der große Erdrutsch im Jahr 1914 ein, als nach einer regnerischen Witterungsperiode gewaltige Erdmassen nach Krochwitz rutschten.

Fritsche-Gruft, Immenheim und Freidenkerheim

Familiengruft Fritsche (Foto T. Reißig)

Am nordöstlichen Abhang des Hopfenberges, unmittelbar am markierten Wanderweg befindet sich die Gruft der Familie Fritsche, dessen Überreste wir besichtigen. Also nicht die menschlichen Überreste, sondern die baulichen Gebäudeüberreste. Überraschend führt tatsächlich eine Treppe nach unten in den leeren Gruftraum. Ein ungewöhnlicher Ort, auf denen man auch nicht alle Tage trifft (sofern man kein Bestatter von Beruf ist.)

Ein Stück weiter unten befindet sich die ehemalige Waldrestauration „Immenheim“. Früher war das ein beliebter Einkehrort mit Kegelbahn und Wildgehege. Heute ist sogar noch der Schriftzug lesbar: „Restaurant Immenheim des J. Fritsche“. Wildschwein und Uhu gehören ebenfalls zu den Bewohnern des Areals und das kleine Gartenhäuschen sieht auch noch recht original aus. Letztes Ziel am Wegesrand ist ein Gelände, welches bei mapy.cz als ehm. „Freidenkerheim“ bezeichnet wird.

Anlage im ehm. Freidenkerheim (Foto T. Reißig)

Die Freidenkerbewegung erhielt um 1900 herum sowohl in Deutschland als auch in den Österreichischen Gebieten und Böhmen größeren Zulauf, als sich die Menschen mit fortschreiten der Wissenschaft von den kirchlichen Zwängen lösen wollten. Unter anderem machte die Bewegung auch die Feuerbestattung als Alternative zur Erdbestattung salonfähig und setzte sich vehement für die Trennung von Kirche und Schule ein. So gab später auch Ortsgruppen, und mit dem Fabrikant Josef Umlauft aus Bodenbach auch hierorts einen glühenden Verfechter dieser Gesinnung. Er ließ eine große Anlage in der Einschicht Hopfengarten bauen. Wir begutachten die Ruinen des riesigen Areals, Sonnenterrasse, Keller, Mauern, Geländer, Wegeanlagen, Reste eines Mausoleums oder Denkmals. In letzteren ist heute ein Marienbild zu finden – was wohl ziemlich konträr zum originären Zweck steht. Die wenigsten hier werden wahrscheinlich wissen, was das hier mal für ein Gelände war. Die Freidenker wurden ab 1930 dann nach Abspaltung eher zu einer Arbeiterbewegung, welche dem Kommunismus nahe Stand. In alter Literatur findet sich nur sehr wenig zu dem großen Areal, was nicht nur damit zusammenhängt, dass es wohl erst 1909 erbaut wurde, sondern weil diese Vereinigung zeitweise verboten und öffentlich durchaus umstritten war. Einer alten Ansichtskarte zu urteilen standen neben dem Mausoleum wohl die Büsten zwei berühmter Freidenker – Dr. Haeckel und Dr. Specht, wo sich die Frage stellt, wo das freie Denken bleibt, bei so einen Personenkult.

Die letzten 2 Kilometer geht es dann weitgehend unspektakulär durch Wohngebiete zurück zum Ausgangspunkt. Und so endet eine spannende Erkundungstour am Rande des Böhmischen Mittelgebirges bei Decin.

Verwandte Quellen:
https://de88.cz/D88/turistika/chmelnik.htm
Jägerbauers Station:
https://www.drobne-pamatky.cz/pamatky/objekt.php?co=jilo/mart01
Buch „Heimatkreis Tetschen-Bodenbach, Städte und Gemeinden“, Alfred Herr, 1977

Vielen Dank an Thomas Reißig für die Bereitstellung zahlreicher Fotos!

Bildergalerie vom 25.01.2025

Route: Um den Hopfenberg (mapy.cz)

Route auf mapy.cz (LINK)

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