Drei Dörfer und zwei Schluchten im Grenzgebiet

versperrter Eingang Dürrkamnitzschlucht

Ende September war es mal wieder an der Zeit für eine Exkursion in die Böhmische Schweiz. Wir wollten einerseits untersuchen, inwiefern die offiziell gesperrte Dürrkamnitzschlucht noch begehbar ist. Und beim stricken der Runde fielen noch ein paar weitere interessante Orte ins Auge, welche uns guter Gebietskenntnis zum Trotz noch unbekannt sind, z.B. der alte Friedhof in Rosendorf (Ruzova), sowie in den letzten Jahren neu angelegte Lehrpfade. Das Programm war üppig und die Runde sollte ab Hrensko etwa 20 km betragen. Vorab: Es war eine höchst abwechslungsreiche Runde, mit Tälern, Kulturdenkmälern und vielen schönen Aussichten.

Dürrkamnitzschlucht: Offiziell gesperrt, aber…

Wir machen uns also auf den Weg an der Straße entlang, wehmütig an unserer einstmaligen Stammkneipe „Na Suché Kamenici“ vorbei, die leider seit Corona nicht mehr geöffnet hat. Nach Ortsausgang geht es links hinauf in den Taleinschnitt der Dürren Kamnitz. Nach wenigen Metern prangt bereits Flatterband mit dem Hinweis zum gesperrten Zustand aufgrund abgestorbener Fichtenbäume.

Dürrkamnitzschlucht

Hintergrund: Im mittleren und oberen Bereich der Schlucht befinden sich viele abgestorbene Fichten. Da der Weg naturschutzfachlich bedeutsam ist (Feuersalamander usw.), wird der Einsatz schwerer Forsttechnik nicht genehmigt. Eine der letzten Amtshandlungen des vergangenen Nationalparkleiters Pavel Benda war die Sperrung dieses Weges zu veranlassen. Seit Juli 2022 ist dieses idyllische Tal am Rande Hrensko’s damit offiziell gesperrt. Die Sperrung war vorerst auf ein Jahr befristet. Kürzlich wurde sie von der Tschechischen Nationalparkverwaltung bis zum 30.09.2024 verlängert. Das Gebiet gehört zum NPR Kanon Labe (Nationales Naturreservat Elbtal) und wird von der Nationalparkverwaltung verwaltet.

Bekanntermaßen führt absperren und Nichtstun zur langfristigen Unzugänglichkeit eines Weges. Deshalb wollte ich mir unbedingt dieses schöne Tal noch einmal ansehen. Speziell im mittleren Teil stehen tatsächlich sehr viele tote Bäume mit Pilzbefall zum Umfallen bereit. Bisher kommt man noch gut durch, aber bei Sturm sollte man es selbstverständlich meiden. Mittlerweile weiß eigentlich jeder regelmäßige Besucher des Elbsandsteingebirges die Risiken einzuschätzen, denn im Bereich beider Nationalparks gibt es kaum einen Wegabschnitt, welcher nicht von Käferbäumen „geziert“ wird. Im Gegensatz zur deutschen Verwaltung sperren die Tschechen auf Gebiet der Böhmischen Schweiz grundsätzlich markierte Wanderwege bei erhöhter Gefahr – über die Gründe kann ich nur spekulieren. Vielleicht liegt es an unterschiedlicher Rechtsprechung auf Gebiet der Verkehrssicherung. Wo fangen die waldtypischen Gefahren an, und wo enden sie…? Darüber können sich Juristen streiten. Ich bin lieber in der Realität unterwegs.

Spuren eines legendären Wirtshauses

ehm. Standort Krümmerwandbaude

Die Dürrkamnitz selbst machte ihren Namen leider aller Ehre und versteckte sich vor uns. Nach der trockenen Wittterungsperiode im September waren nur noch ein paar Pfützen an manchen Stellen übrig. Dennoch ist diese Schlucht auch heute noch ein magischer Ort. Inmitten gewaltiger Felsen fristete einst bis 1882 eine Mühle ihr wildromantisches Dasein. Heute zeugen nur noch behauene Blöcke, Mauerreste und ausgehauene Kaskaden vom einstigen Glanz. Im weiteren Verlauf wechseln Relikte der Neuzeit, wie die ausgeschlegelte Sitzbank zu Ehren des Thronjubiläums von Kaiser Franz Joseph I. aus 1908, oder der mittlerweile von der Natur eroberte Verteidigungsbunker aus 1938. Bis zum Zusammenfluss von Jonsdorfer Bach und Kamnitz ist die Schlucht unverändert schön. Erst später trüben massiv abgestorbene Bäume das Bild. Im Bereich des Abzweigs zum Belvedere verlassen wir das Schutzgebiet NPR Kanon Labe und aufwärts wurden vor einiger Zeit bereits größere Flächen gerodet. Mit dem neuen Licht wird Jungwuchs zum Problem. Strauchwerk und Fichten wachsen immer höher und der Weg wächst langsam zu. Hier wäre mal ein Sägeeinsatz fällig. Linkerhand fallen eingehauste Boofen auf, welche erstaunlicherweise noch nicht geschliffen wurden, weil sie knapp außerhalb des strengeren Schutzgebiets liegen. Weiter aufwärts erreichen wir den legendären Standort der ehm. Krümmerbaude. Franz Stelzig aus Arnsdorf baute 1929 ein einfaches Holzhaus an der Felswand im Talgrund, wo der Weg aus der Schlucht in Richtung Arnsdorf abzweigt. Binnen weniger Jahre erreichte die Gaststätte Kultstatus und wurde trotz Wirtschaftskrise zum vielbesuchten Ort sächsischer und böhmischer Wanderer. Es dürfte auch die einzige Gaststätte gewesen sein, welche um einen Baum herum gebaut wurde. So etwas habe ich jedenfalls noch nie gesehen.

1945 setzte die Vertreibung der kurzen Geschichte ein jähes Ende und 1946 wurde die Baude von tschechischen Grenzpolizisten abgerissen, da es als Aufenthaltsort illegaler Grenzgänger verschrien war. Sehr beeindruckend sind alte Ansichtskarten und Bilder auf der website www.deutschboehmen.de Heute künden noch einzelne Buchstaben des Schriftzugs hoch oben am Felsen der Krümmerwand.

Friedhofsbesuch in Arnsdorf

Grabmal Arnoltice

Der weitere Weg führt uns nach Arnsdorf (Arnoltice), wo wir die restaurierte Kirche und den Friedhof besuchten. Es ist immer wieder spannend, alte Grabstellen der ehemaligen deutschsprachigen Bevölkerung zu betrachten. Damals wurde von der streng katholischen Bevölkerung sehr viel Geld in Verzierungen, Figuren und aufwändige Grabgestaltung investiert. Die spätbarocke Kirche aus 1758 wird derzeit renoviert.

Die Gaststätten im Ort wollten erst ab 14 Uhr öffnen und so ging es ohne Pause Richtung Rosendorf weiter, wo uns später eine Sitzgruppe – welche nebenbei erwähnt entlang der Route in ungewöhnlich reichlicher Fülle vorhanden sind – zu einer aussichtsreichen Mittagsrast einlud. Der fesselnde Blick zu den feuergepeinigten Prebischwänden wird uns den ganzen Tag begleiten…

Neue Lehrpfade und ein sakraler Lost Place in Rosendorf

Nächstes Ziel ist der alte Friedhof in Rosendorf (Ruzova). Vorbei an Sturms Kreuz erreicht man über den neu markierten Lehrpfad schnell die alten Friedhofsmauern. Erstaunlich, dass der Friedhof von beachtlicher Größe so weit außerhalb des Ortes von der Kirche entfernt lag. Die Grabstätten des 1906 angelegten Friedhofs sind wenig überraschend stark beschädigt, denn nach 1945 wurden die Friedhöfe der deutschsprachigen Bevölkerung in unterschiedlichen Ausmaß zerstört oder gar ganz geschliffen und teilweise als Baumaterial verwendet. Zumindest dort, wo der Friedhof nicht weiter von der tschechischen Bevölkerung genutzt wurde. Mittlerweile ist viel Zeit vergangen und so sind zuletzt trotz der entzweienden Geschichte auch auf tschechischer Seite Initiativen entstanden, welche sich um Erhaltung von Kulturdenkmäler und historischer Orte kümmern. Denn die Geschichte vieler Orte in Nordböhmen ist unstrittig über Jahrhunderte fest mit der damaligen deutschsprachigen Bevölkerung verwurzelt. So wurde auch dieser Ort vor einiger Zeit von Wildwuchs befreit. Unmittelbar hinter den Friedhofsmauern steht eine alte Windmühle, die jetzt als Pension genutzt wird.

alte evangelische Kirche in Ruzova

Hinter dem Gottesacker führt ein neu gestalteter Naturlehrpfad mit verschiedenen Holzkonstruktionen entlang. Kurz nach Erreichen des Ortes Rosendorf stehen wir an der Ruine der 1864 erbauten evangelischen Kirche. Im 19. Jh. schlossen sich Anhänger der Reformation der protestantischen Herrnhuter Gemeinde an, was im Bau der eigenen Kirche gipfelte. Als einer der wenigen Orte im katholisch dominierten Nordböhmen hatte Rosendorf somit zwei große Kirchen, was ungewöhnlich und eher größeren Städten vorbehalten war. Nach 1945 wurde das Gebäude noch als Kindergarten und Wohnhaus genutzt. Ab 1990 steht es leer und verfällt. Unweit der Kirche am Rande des Gutsimsberges, auch Butterberg genannt (Kovářův kopec) befindet sich der Friedhof. Leider haben wir ihn auf unserer Runde links liegen gelassen, da mir dieser Standort erst im Nachgang bei der Recherche aufgefallen ist. Denn genau an der Stelle wies ein Schild auf die Kirche hin und hinter unseren Rücken schlafen die Gräber ihren Dornröschenschlaf.

Aussichtsreich um den Hutberg

Der Hutberg sollte unser nächstes Ziel sein. Da wir allesamt schon mehrfach den markanten Aussichtsturm besucht haben, führte uns der Weg diesmal kaum weniger reich an Fernsichten um den Hutberg herum. Der Rosenberg reist den Blick an sich und die Berge des Lausitzer Gebirges erscheinen greifbar nahe. Ein renoviertes Kruzifix und das Glöckchen am Wegesrand waren mir neu. Der Weg führt um den Hutberg herum. Später tauchen auch die Tafelberge der Sächsischen Schweiz am Horizont auf, wobei besonders die ungewönliche Perspektive mit Zirkelstein und Lilienstein ins Auge fällt. Rosendorf liegt landschaftlich wirklich sehr reizvoll. Nach Besuch des bodenständigen Wirtshauses gegenüber der prachtvoll renovierten Kirche ging es weiter Richtung Stimmersdorf.

Das Glöckchen

Neuerdings führt der markierte Wanderweg nicht mehr direkt in den Stimmersgrund, sondern in einem Bogen über Kieferbestockten Hügel westlich herum. Abwärts führt dann ein provisorischer Abstieg über „Totholzstufen“. Schnell merkt man, dass wir nun wieder im Nationalpark sind. Im oberen Teil des Stimmergrundes versperrt Fichtenmikado den Weg. „Aufzuräumen“ war wohl keine Alternative, und stattdessen wurde ein neuer Weg am Hang angelegt, der uns eine Ebene tiefer führt. Über alte Steinstufen des Rosendorfer Kirchsteigs gelangen wir hinab in die Kamnitzklamm. Wir sind froh, dass wenigstens dieser Wegabschnitt noch begehbar ist. An der Edmundsklamm prangt nach wenigen Metern ein Sperrschild, was erstaunlicherweise viele Touristen aber nicht daran hindert, sich trotzdem auf den Weg zu machen. Im Gespräch war zu erfahren, dass manche Touristen der Meinung sind, trotzdem auch ohne Bootsfahrt und versperrten Galerien bis Hrensko durchzukommen. Ich glaube nicht… aber wir werden sie nicht an Trial & Error hindern.

Stimmersdorf und seine Brandwunden

Die Querung der Kamnitzklamm und damit verbundenen 150 zusätzlichen Höhenmeter haben durstig gemacht. So haben wir uns im Biergarten oben am Ende des Aufstiegs nochmal ein Bierchen gegönnt – für sagenhafte 59 Kc. Die Kneipe habe ich noch ein wenig anders in Erinnerung, es ist aber schon ein paar Jahre her, als ich das letzte Mal hier war. Nun rückt unweigerlich der große Waldbrand in den Fokus, denn das Haus neben der Kneipe ist eines der drei in Stimmersdorf, welches den Flammen zum Opfer gefallen ist. Den tapferen Kameraden der Feuerwehr ist es zu verdanken, dass nicht viele weitere Häuser abgebrannt sind.

neues Fernrohr am Mühlsteig

Die Letzte Etappe des Tages führte uns nun über den gelb markierten Mühlsteig Richtung Hrensko. Früher war das ein unspektakulärer Weg, mitten durch dichte Waldbestände. Kahlschläge und der Brand 2022 haben den Charakter dieses Weges stark verändert. Plötzlich ergeben sich eindrucksvolle Ansichten der Flügelwand, Stimmersdorfer Kapelle oder des Zuckerhutes. Gestern schien auch noch das Abendlicht hinein, sodass eine beeindruckende Lichtstimmung erzeugt wurde. Auf einer Freifläche hat die Nationalparkverwaltung ein Fernrohr installiert, welches auf das Prebischtor gerichtet ist und man durch das Tor hindurch auf das Falkennest blickt. Gigantisch sind hier auch auf beiden Seiten des Weges die verbrannten Flächen. Ein paar wenige Laubbäume haben trotz Blessuren den Brand überlebt und dienen jetzt als Samenspender. Vermutlich will man bei der Begrünung etwas nachhelfen. Der Weg senkt sich langsam zur Straße hinab bis rechterhand gar kein Baum mehr steht. So ergeben sich ganz neue Perspektiven auf Prebischkegel und dergleichen. Im düsteren Abendlicht erreichen wir Hrensko und nach ungefähr 22 Kilometern endet diese abwechslungsreiche Sonntagsrunde.

Fazit: Auch abseits des Kerngebiets der Böhmischen Schweiz gibt es viele historische Orte zu entdecken, tolle Aussichten und ungewohnte Perspektiven. Die Dürrkamnitzschlucht ist (noch) problemlos begehbar. Man muss sich aber im Klaren darüber sein, dass der Weg rein rechtlich als gesperrt gilt. Die Wanderung war insgesamt sehr ruhig. Leute sind uns erst am Hutberg in Rosendorf begegnet und selbstverständlich im Bereich der Kamnitzklamm bei Stimmersdorf, denn die Bootsfahrt auf der wilden Klamm ist als One-Way-Ticket machbar (Spaßfahrt).

Die Tour auf Mapy.cz [LINK]

Bildergalerie Teil 1: Dürrkamnitzschlucht bis Arnoltice

Bildergalerie Teil 2: Arnoltice und Ruzova

Bildergalerie Teil 3: Stimmersgrund und Mühlsteig

Ein Kommentar

  1. Danke für den ausführlichen Bericht über die Dürrkamnitzschlucht. Einer der wenigen markierten Wege im Gebiet, unverständlich, daß kein Weg drin ist, dort paar abgestorbene Bäume zu fällen. Naturschutzgesetze, die sowas verbieten, kann man nur noch hassen. Mit solchen jahrelangen Sperrungen schafft man sich bei den Wanderern keine Akzeptanz für den Naturschutzgedanken. Noch bis 2010 konnte man alle Pfade am rechten Elbhang begehen und alle Höhlen besuchen, jetzt ist komplett alles verboten. Vom ehemals berühmten Wandergebiet Böhmische Schweiz ist nur noch ein kümmerlicher Rest übriggeblieben. Die alten Friedhöfe lohnen sich natürlich immer noch. Schade nur, daß der Nationalpark noch nicht dort begraben ist.

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