Wir schreiben das Jahr 2022. Der Freistaat Sachsen hat unlängst riesige Datenmengen im Rahmen einer Open-Data-Richtlinie der EU für Nutzer frei verfügbar gemacht (link). Es betrifft u.a. hochauflösende Geländemodelle, Topographische Kartendaten und Luftbilder. Wer sich etwas tiefer damit beschäftigt kann unglaublich gute Informationen daraus ziehen. So lassen sich bspw. „verdächtige“ Strukturen im Gelände erkunden, welche einen vorher nicht aufgefallen wären. Sogar das Auffinden alter Wege wird erleichtert. Man kann es für alles Mögliche nutzen. Soweit so gut. Es war ein Fortschritt, denn bis dato wurden die Daten von der Landesvermessung teuer verkauft. Die breite Masse an Leuten interessiert das aber weniger. Man muss sich etwas einarbeiten, benötigt Software und Zeit.
Andererseits tritt nächstes Jahr eine Verordnung aus 2019 in Kraft, welche eine massenhafte Entwidmung öffentlicher Wege (link) nach sich zieht. Es bleibt zu befürchten, dass in manchen Fällen gerade kleinere Wege „zugemacht“ werden, oder als Privatweg deklariert mit Betretungsverbot. Die Praxis wird zeigen, ob diese Reform Fortschritt oder Rückschritt ist.
Beim Thema wandern/ outdoor nutzen mittlerweile sehr viele Leute Apps wie komoot, Bergfex, outdooractiv, locus, strava, mapy.cz, Osmand, usw. Es ist auch die bequemste Lösung. Man bekommt seinen aktuellen Standort angezeigt und muss nicht für jedes Wanderziel eine Papierkarte kaufen. Wer in der Sächsischen Schweiz unterwegs ist, entdeckt nicht selten Wandersleut, die mit dem Smartphone vor der Nase Orientierung suchend vor einer Wegkreuzung stehen. Ich nehme mich da nicht raus 😉
Openstreetmap, Nationalpark und digitale Besucherlenkung
Die wichtigste Datenbank im Hintergrund für diese Online-Karten basiert auf Openstreetmap. Zumindest in Deutschland gibt es eine breite Community von Mappern, welche freiwillig aus Spaß und Freude Daten eingeben und aktualisieren. Dort sind viele kleine Wege und Pfade eingetragen, welche auf manch einer Wanderkarte nicht zu finden sind. Gerade das ist ja der Vorteil und ungemein hilfreich bei der Nutzung. Man ist an keinen Maßstab gebunden. Und die Karte wird laufend aktualisiert.
Nun kann dort eben jeder frei alle möglichen Informationen eintragen – auch Wege die in Naturschutzgebieten oder Nationalparks nicht erwünscht sind.
Hier kommt es zu einen Konflikt, den jeder Kartograph kennt. Trägt man nach den örtlichen Begebenheiten jeden Weg wahrheitsgemäß ein, auch wenn die Begehung aufgrund geltender Rechtsvorschriften nicht gestattet ist? Openstreetmap war mir bisher dafür bekannt, dass „on the ground“ mehr zählt, als regionale Beschränkungen. Denn letztlich ist der Nutzer ja für sein Tun verantwortlich.
Im Jahr 2019 ist die Nationalparkverwaltung auf diese ganze Thematik aufmerksam geworden. Es wurde eine Stelle ausgeschrieben, welche sich hauptsächlich um digitale Besucherlenkung kümmern sollte, wozu auch Online-Kartendienste benannt waren. Ich war einer der ersten, der damals auf diese Brisanz aufmerksam gemacht hat. Die Stelle wurde besetzt, und wenig später ging es auch schon los. Unliebsame Wege wurden von dieser „digitalen Rangerin“ mit Präfixe und Tags ausgestattet, dass gängige Apps diese Pfade nicht mehr darstellen. Zeitweise wurden sogar die legalen „Unpassierbaren Wege“ wie die Kirnitzschtalstraße nicht mehr angezeigt, was z.B. die Kartendarstellung bei mapy.cz
Im Openstreetmap-Forum gab es immer wieder Diskussionen über dieses Vorgehen. Das Resultat dieser anfangs kontrovers geführten Diskussion ist überraschend eindeutig: OSM-Akteure arbeiten jetzt mit der Nationalparkverwaltung zusammen und sind bei der Durchsetzung ihrer Ziele behilflich. Alte sichtbare Wege wie der Raumbergweg werden als „abondened“ gekennzeichnet, was zur Folge hat, dass sie beim überwiegenden Teil der Endnutzer nicht mehr angezeigt werden. Es spielt gar keine Rolle, wie sichtbar die Wege im Gelände sind. Sie sollen im Sinne der Besucherlenkung nicht auf den gängigen Apps dargestellt werden. Auch unerwünschte Pfade außerhalb der Kernzone geht es an den Kragen, wie z.B. alter Aufstieg zum Carolafelsen, Südweg Arnstein, Reibetöpfel, Nordweg Winterstein.
Vanadlismus? Zensur? Wie nennt man es, wenn die Wahrheit versteckt werden soll? Stiegenfreund Dietmar hat versucht, unsere Sichtweise recht offen im dortigen Forum anzusprechen. Schnell wurde klar: 90 % der Beteiligten haben gar keine Ortskenntnis, sind aber scheinbar stolz darauf in dieser Sache jetzt mit dem Staat zusammenarbeiten zu dürfen. Als es nicht wirklich voran ging, habe ich mir es nicht nehmen lassen, ein paar unbequeme Fragen zu stellen. Anstatt auf Argumente einzugehen wurde ich als Troll beschimpft. In den vergangenen 2-3 Jahren hat man so einiges erlebt und ein dickes Fell bekommen. Da kann man über solche Aussagen, wie User „lorissa“ von sich gibt nur schmunzeln: „Wenn einer hier bei OSM mit „on-the-ground“ in Nationalparks kommt, einfach auf die Nationalparkordnung verweisen und am besten gleich Betretungsrecht für diese Personen versagen.“
Im OSM-Wiki gibt es übrigens auch einen eigenen Eintrag zum Nationalpark Sächsische Schweiz. Dort ist schon der zweite Satz alt bekannter Mumpitz, wo mit dem weglassen wichtiger Informationen eine Umdeutung entsteht: „Das Begehen von Kletterzustiegen ist im Zusammenhang mit der unmittelbaren Ausübung des Klettersports erlaubt.“
Es suggeriert, dass nur Kletterer eine Legitimation hätten, diese Wege/Kletterzugänge zu begehen. In Wahrheit (nachzulesen in der Bergsportkonzeption) ist jedem gestattet, ohne Angabe von Gründen da entlang zu laufen. Lediglich der Zweck dieser Wege gilt vorrangig als Zustieg zu den Kletterfelsen zur Ausübung des Klettersports und damit sind sie weniger gut ausgebaut, da sie nicht für eine touristische Nutzung vorgesehen sind. Ich bin der Meinung, Behörden sollten keine bewussten Falschinformationen streuen. Auf Youtube wurden User von der digitalen Rangerin angewiesen, Videos zu löschen, obwohl der Inhalt lediglich aus dem Begehen eines alten Weges an einen offiziell zugelassenen Kletterfelsens bestand, welcher obendrein noch als Kletterzugang markiert ist.
Vielleicht erinnert sich der ein oder andere noch daran, wie NP-Leiter Zimmermann vehement die Spitzsteinschlüchte beim Online-Stammtisch im Februar 2021 [1:54:00] als wunderbaren Alternativweg zur Zeughausstraße bewarb, jeden Hinweis darauf ignorierend, dass die dort dicht an dicht stehenden abgestorbenen Fichten ein größeres Risiko darstellen als im gesperrten Zschand selbst. Wenige Wochen später wurde dieser Weg dann plötzlich gesperrt, ohne dass sich etwas verändert hatte. Zeughausstraße ist auch nach mehreren Stürmen und Unwettern bis heute problemlos bewanderbar.
Zurück zu Openstreetmap. Dahinter steht der Verein FOSSGIS e.V. und dort heißt es:
OpenStreetMap (OSM) ist das herausragendste Projekte aus dem Bereich Freier Geodaten. Ziel ist eine freie Weltkarte, die jeder kostenlos und unter einer offenen Lizenz verwenden kann. Ähnlich wie bei der Wikipedia arbeiten weltweit zehntausende Freiwillige (sie nennen sich selbst Mapper) zusammen, sammeln Daten und bereiten diese für die gemeinsame Datenbasis auf. Jeder kann diese Daten benutzen, um daraus Karten nach seinen Vorstellungen und der gewünschten Verwendung zu erzeugen.
https://www.fossgis.de/aktivit%C3%A4ten/openstreetmap/
Es drängt sich zwangsläufig die Frage auf, wieso sich so eine mächtige Community wie Openstreetmap auf solche Zugeständnisse mit der Nationalparkverwaltung einlässt? Es mindert erheblich die Qualität der Karte. Eigentlich sollten die Alarmglocken angehen, wenn eine Behörde derartige Einflussnahme versucht. Und mir geht es überhaupt gar nicht nur um die Sächsische Schweiz. Es gibt 16 Nationalparks in Deutschland und unzählige Naturschutzgebiete. Ab nächstes Jahr massenhaft Privatwege. Waldbesitzer machen auch nicht selten Probleme. Wenn OSM künftig überall nur noch „erwünschte“ Wege darstellen möchte, wird die ganze Kartiererei dort bald für die Tonne sein. Aber diese stadtgrünen Bitcoinschürfenden Technikfreaks sind mutmaßlich eh die letzten, die den Schuss gehört haben.
Ein „Unter-der-Hand-Tool“
Das positive zum Schluss: OSM ist eine Datenbank und da verschwindet nichts so einfach. Es gibt eine Möglichkeit, die Wege anzeigen zu lassen: Bei der App OSMand kann man die Kartendarstellung auf „Offroad“ einstellen und schon sind sie wieder da (noch zumindest..)
Quellen:
https://www.openstreetmap.org/user/Nationalpark%20S%C3%A4chsische%20Schweiz
(304 Bearbeitungen (z.B. Auerhahnsteig, Schwarze Schlüchte,Förstersloch, Reibetöpfel, alter Aufstieg zum Carolastein, Arnstein Südweg, Frinzbergsteig) Andererseits wurden vor kurzem alle legalen Boofen eingetragen – da fällt mir auch nix mehr ein zu.
(FOSSGIS-Erfahrungsaustausch um die OSM-Nationalparkproblematik mit den digitalen Rangerinnen vom NP Sächsische Schweiz und Bayrischer Wald. Erst wird hochachtungsvoll auf die „on-the-ground-Reglung“ hingewiesen um am Ende zum Schluss zu kommen, diese bestmöglich auszuhebeln; der Erfolg gibt ihr recht!)
https://osmlab.github.io/osm-deep-history/
PS: Dass der Blattschnitt (Quadrant) der Topographischen Karte seit jeher „Am Raumberg“ heißt und ausgerechnet selbiger nun in modernen digitalen Karten ausradiert werden soll spottet jeder Beschreibung
Danke, daß du dich dieser Thematik angenommen hast. Aber wie du schon beschreibst, wer sich an der Diskussion bei OSM beteiligen will und nicht der Meinung der NPV ist, wird nicht akzeptiert, teilweise dann sogar beschimpft. Obwohl 90% der Mapper keine Einheimischen sind und keine Ahnung von den speziellen Regeln in der Sächsischen Schweiz haben. Man hat den Eindruck, die meisten sind von der NPV gekauft, bestochen oder bezahlt. Manchmal ist die Karten-Mafia eben stärker (an die betreffenden Mapper: das ist nur mein persönlicher Eindruck, ich hoffe, ich täusche mich.)
Aber wer historische Forschungen über jahrhundertealte Wege, z.B. den Stimmersdorfer Steig, betreiben will, hat schlechte Aussichten, dieser Weg wird zwischen tschechischer Grenze und Altarstein nicht mehr bei OSM angezeigt, obwohl der Weg dort 2 Meter breit und deutlich zu sehen ist. Und hat jemand schon mal dran gedacht, daß im Ernstfall bei einem Waldbrand dort hinten die Feuerwehr keinen Pfad auf der Karte findet, den sie vielleicht zum Löschen dringend braucht?
Wir werden uns dran gewöhnen müssen: OSM kann man künftig im Bereich des Nationalparkes vergessen. Es ist keine „freie“ Weltkarte mehr, sondern eine zensierte, aber das hatten wir auch schon zu DDR-Zeiten (immer alles hinter der Grenze zur CSSR z.B. wurde auf Karten nicht mehr oder nur wenig dargestellt.)
Eine Möglichkeit zum Gegensteuern: Anlegen einer (auf privater Basis geführten) Datenbank mit allen gelöschten/unsichtbar gemachten Wegen, dazu Fotos/Videos dieser Wege, als Beweis, daß diese noch existieren, für diejenigen, die bei OSM nicht das finden, was sie suchen.
Ich benutze im Nationalpark nur Böhm-Karten, habe aber vor oder nach einer Wanderung gerne bei OSM reingeschaut zwecks zusätzlicher Informationen. Ich benutze dazu einen Desktop-PC, und dort sind beim Aufrufen von OSM die Wege nicht mehr sichtbar, also sind sie für mich gelöscht, auch wenn die OSM-Community das anders sieht. Die NPV-Kommentare auf meinem Youtube-Kanal habe ich übrigens alle vor paar Monaten gelöscht, da ich der Öffentlichkeit die Falschaussagen der NPV betreff Kletterzustiegspfaden nicht mehr zumuten wollte.
Das Argument, daß Wege, die verboten sind, nicht mehr dargestellt werden sollen, widerspricht anderen bei OSM gezeigten Orten. Beim Truppenübungsplatz Oberlausitz z.B. werden auch alle Wald-und Feldwege angezeigt. Auch diese Wege im Militärgelände sind für Wanderer verboten, rundherum stehen Schilder, das Betreten ist streng verboten, Wanderer riskieren sogar eine Strafanzeige, dürfen im Notfall sogar beschossen werden! Trotzdem sind die Wege eingezeichnet. Ein Beispiel für solche Wege, siehe auch die benachbarten eingezeichneten Wege:
https://osm.org/go/0MmFhP3?m=&way=300783625
Die OSM-Community mißt hier also mit zweierlei Maß, verbotene Wege im Militärgebiet werden dargestellt, verbotene Wege im Nationalpark nicht. Der Lösungsansatz der NPV sagt alles: „NP-Regeln und on-the-ground-Regel nicht kompatibel“. OSM verrät also seine ursprünglichen Regeln und mutiert zum Handlanger und Speichellecker der Nationalparkverwaltung.
Sagen wir mal so, es gibt Kollegen, die sich bereitwillig zensieren lassen, und es gibt solche, die das nicht tun und eigentlich zerstört man sich als Kartenautor mit Zensur nur seine eigene Arbeit, denn man liefert dann ja minderwertige Informationen. Es gehört nunmal zur Ehre des Kartenhandwerks, die Welt so darzustellen, wie sie ist. Die rechtliche Nutzbarkeit des Georaumes ist was anderes, der Kartograf ist gut damit beraten, sich nicht zum Anwalt aufzuschwingen. Lasse ich etwa Schwarzbauten weg, damit die Baubehörde auf diese nicht aufmerksam wird? Oder zensiere ich Umweltschäden auf Umweltkarten, damit es die Bevölkerung nicht beunruhigt? Lasse ich gesperrte Straßen in Stadtplänen, weg, damit da keiner langfährt? Klar, damit das Stadtbild dann nicht mit so vielen Verbotsschildern zugeballert werden muss. Noch heimtückischer ist übrigens das Verlangen des Zensors, örtlich nicht erkennbare Verbote kartografisch darzustellen. Dem Fahrer, der dort langfährt und Dummpulver nimmt, kann man nicht viel nachweisen, aber wenn er einen Stadtplan mit den gesperrten Straßen dabei hat, Kartograf, wird ihn der Polizist mit dem Hinweis auf das in der Karte dargestellte Verbot belangen können. Da merkt man schon wie absurd das ist. Oder sagen wir mal, feudal. Das ist doch voll 18. Jahrhundert, in dem der Landesherr mit der Hoheit über die Informationen die Untertanen zu genehmen Verhalten zu zwingen versucht. Aber auch schon damals haben sich die Autoren gegen die Zensur gewehrt, wo es ging. Pressefreiheit ist ein teuer erstrittenes und bewahrenswertes Gut.